Immer wieder hört und liest man Formulierungen wie diese: «Ich suche Familie X aus Leitmeritz, heute Litoměřice.» Oder: «Meine Vorfahren kommen aus dem ehemaligen Reichenberg, jetzt Liberec.» Da herrscht offenbar der Eindruck, Orte seien über Nacht umbenannt worden und es gebe somit einen «früheren» sowie einen «heutigen» Namen. Das trifft aber auf Böhmen so gut wie gar nicht zu. Jahrhundertelang bestanden und entwickelten sich deutsche und tschechische Ortsnamen nebeneinander, und jeder Bewohner verwendete ganz natürlich die Namensform in seiner eigenen Sprache. Dass in einigen Gegenden über Jahrhunderte die deutsche Sprache überwog, heisst nicht, dass die tschechischen Namen «neu» wären. Ebensowenig kann der Hinauswurf der Deutschen nach 1945 die deutschen Ortsnamen plötzlich zu «ehemaligen» gemacht haben. Die Verwaltungssprache hat im Laufe der Zeit mehrfach gewechselt, aber die Orte sind die gleichen geblieben, auch ihre Namen in den verschiedenen Sprachen. Möchte man also unbedingt beide Formen nennen, dann richtigerweise: «Reichenberg, tschechisch Liberec», «Schönlinde, tschechisch Krásná Lípa» oder «Prag, tschechisch Praha». Wem zumindest das letzte Beispiel absurd vorkommt, der hat verstanden, was ich meine.
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